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Ein Tag Indien

Veröffentlicht am 13.03.2018, 22:27 Uhr in Delhi, Indien

Betreff: Delhi


Ich komme mir vor, wie in einem Film. Delhi ist genauso, wie man sich Indien vorstellt. Es wirkt beinahe alles ein bisschen vertraut, und doch so, als wäre man nur ein Zuschauer, der durch eine Theatervorstellung läuft.

Und immer, wenn sich das ganz naive Gefühl entwickelt hat: „Jetzt kann mich erstmal nichts mehr überraschen“, wird man überrascht.

Ich tippe diese Zeilen in mein Handy, während ich darauf warte, dass die größte Moschee Indiens um 13:30 Uhr auch für Touristen öffnet. Ich sitze im Schatten der Moschee, draußen auf Steinstufen, inmitten einem Haufen Inder, die ebenfalls warten. Auf was? Keine Ahnung. Viele von ihnen haben ein Tuch oder einen Karton als Sitzunterlage mitgebracht, die in der Regel deutlich dreckiger sind, als die Stufen. Vereinzelt haben sich auch Straßenköter zu uns auf die Stufen gesellt, schlafend oder hechelnd. Auf den Bäumen sitzen dutzende Greifvögel. Falken, oder so. Warum? Keine Ahnung. Und da ist er wieder, der Moment, wo man denkt, so langsam wäre man ein bisschen gegen Überraschungen immunisiert. Und dann sieht man am Fuße der Treppe, wie ein Mann seinem nackten, schreienden, vielleicht zweijährigen Kind mit überaus groben Bewegungen Seife über Körper und Gesicht schrubbt, während die Mutter Wasser aus einer Plastikflasche über den Knirps gießt. So etwas verkürzt einem die gefühlte Wartezeit.

Reihenweise wollen Inder Selfies mit mir machen. Das kenne ich schon aus China. Jemand in meiner Größe und mit blonden Haaren scheint eine wandelnde Sehenswürdigkeit zu sein. Ich lächle anfangs noch belustigt, im Laufe des Tages aber zunehmend angestrengt in die Kameras. In der Metro tun zwei junge Mädchen, die mir gegenübersitzen, so, als würden sie mit ihrem Smartphone ein Selfie von sich machen. Aber ich sehe an ihrem schüchternen Grinsen, dass sie nicht auf die Frontkamera ihres Mobiltelefons geswitcht haben.

Ich laufe eine enge Altstadtgasse entlang und das Chaos gewinnt an Dimension. Zahllose Motorräder und -roller hupen sich den Weg frei. Ein Junge stibitzt vor meinen Augen dreist ein paar Trauben vom Handkarren eines Traubenverkäufers. Dieser protestiert halbherzig und lässt den Bengel ziehen. Keine zwanzig Meter später fährt mir eine Fahrradrikscha von hinten in die Hacken. Hab ich wohl nicht aufgepasst. Und in dem ganzen Trubel sitzen hie und da kleine Grüppchen von dreckigen Männern auf der dreckigen Straße am dreckigen Boden und essen Brot mit Soße aus Blechtellern. Man verzeihe mir den traurigen Zynismus, aber der Begriff „Unberührbare“ wirkt da nicht ganz unpassend.

Die Hitze und der Trubel machen müde. Und geschlafen hab ich letzte Nacht ja auch nicht. Ich kaufe mir eine Cola, setze mich in einen Park, der um den Lotustempel herum angelegt ist, und tippe in mein Handy, was ich sehe: Eine Frau sammelt das vereinzelt am Boden liegende Laub mit den Händen auf und legt es auf eine 2×2-Meter große Plastikplane, die sie dann hinter sich herzieht. Ich frage mich, ob die Frau bei der Stadt zur Reinhaltung des Parks angestellt ist, oder ob sie das Laub einfach aufsammelt, weil sie es brauchen kann. Zum Verbrennen vielleicht. Oder als Viehfutter.

Der Lotustempel ist eigentlich eine echt schöne Sache. Nicht nur architektonisch, sondern auch ideologisch. Es ist ein Tempel des Bahaitums, eine religionsartige Gemeinschaft, deren Ideologie aussagt: Eigentlich sind doch alle Religionen in ihren wesentlichen Lehren irgendwie gleich. Also lasst uns die unterschiedlichen Religionen mehr zusammen als gegeneinander ausüben. Entsprechend sind im Lotustempel alle Menschen dazu aufgerufen, zu ihrem jeweiligen Gott zu beten und ihre Religion auszuüben. Bei Veranstaltungen werden verschiedene heilige Schriften zitiert. Nur Rituale und religiöse Zeremonien sind unerwünscht, da hier laut den Bahaiten schnell die Grenze zum Aberglauben überschritten wird. Eigentlich schade, dass es weltweit nur acht solcher Bahaitentempel gibt.

Ein wenig enttäuscht bin ich hingegen von der hiesigen Fauna: Abgesehen von ein paar fliegenden kleinen Papageien in einiger Entfernung gab es fast nichts. Keine Affen zum Beispiel. Und selbst die so berühmten indischen Kühe, die ich heute gesehen habe, kann ich an einer Hand abzählen. Und die, die ich gesehen habe, sind nicht frei durch die Stadt gelaufen, sondern waren vor Kutschen gespannt.

Ich nehme die Metro ins Regierungsviertel. Da das sehr weitläufig ist und ich Lust habe, nochmal Tuk-Tuk zu fahren, halte ich einen der Fahrer an und frage, ob er mich ins Botschaftsviertel fahren kann. Ich finde Botschaften irgendwie interessant und in Neu-Delhi – eine Planstadt – sind fast alle Botschaften entlang einer einzigen Straße angelegt. Das Tuk-Tuk düst los. An einem großen Kreisverkehr regelt ein Polizist den Verkehr und hindert uns am Einfahren in den Kreisel. Mein Tuk-Tuk-Fahrer redet auf Indisch (welches „Indisch“ genau, weiß ich natürlich nicht), ich verstehe nur das Wort „Airport“. Wir dürfen fahren. Mein Fahrer lacht sich schlapp darüber, dass er dem Polizisten weiß machen konnte, ich bin drauf und dran, meinen Flug zu verpassen.

Obwohl ich die Fahrer immer bis auf fast die Hälfte ihres Startgebots runterhandeln konnte, bin ich sicher, immer noch viel zu viel bezahlt zu haben. Etwas besser muss ich da schon noch werden, nehme ich mir vor.

Ein bisschen immerhin konnte ich mich schon revanchieren: Ich laufe eine Straße entlang, als (wie üblich) ein Tuk-Tuk hält. „Hey my friend, I drive you anywhere you want, 10 Rupies.“ Das wären weniger als 20 Cent. Ich winke ab: Wer's glaubt! „Yes, I promise, it's not about money, it's about friendship and learning English. You give me nothing or maybe 10 Rupies, if you have. Trust me.“ Klar, das da ein Haken ist. Aber was soll's? Was kann schon passieren? Ich nehme mir fest vor sein Versprechen einzulösen [sic] und steige ein. Er fährt los. Smalltalk. Dann: „And maybe, if you see me tomorrow, you drive with me again.“ „Sure. But the chances are not that high, are they?“ Morgen fahr ich nur mit der Metro zum Flughafen, ich werde nicht mehr in die Verlegenheit kommen, ein Tuk-Tuk anzuhalten. „Yeah, maybe, but if you see me you drive with me.“ „Of course.“ „Where do you want to go tomorrow?“ Tja, und da hatte er mich soweit, dass ich nicht mehr die Wahrheit sagen konnte. „I maybe want to go to the Lotus temple.“ „And after that?“ „ehm – maybe gouvernment district?“ „How long do you stay in India?" “ehm – two weeks.“ Naja, ums kurz zu machen: Ich spanne mir ein Netz aus Unwahrheiten und er gibt mir seine Whatsapp-Nummer, damit ich ihn morgen bestellen kann. Am Ende will ich ihn wenigstens mit den 10 Rupien entlohnen, die von seinem Versprechen ja noch gedeckt waren. Doch das lehnt er tatsächlich ab und hält sein Versprechen. Da hat er wohl leider aufs falsche Pferd gesetzt. Ich versuche, mir ein bisschen Genugtuung einzureden.

Im Moment sitze ich auf dem Flachdach meines Hostels und esse Streetfood (Reis mit Hühnchenfleisch vom Grillspieß). Mit der Hand. Hab kein Besteck dabei. Aber zumindest die Nepalesen machen das wohl auch so. Ich übe also schonmal.

Durchfall, das ist deine Chance!



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